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Prêt-à-porter auf dem Fließband

Barbara Holub im Interview

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Barbara Holub:
- Du hast dich in dem Projekt „The System: pret-à-porter“ mit der „Industrie Second Hand“ am Beispiel Humana beschäftigt. Auf welche Systeme bist du gestoßen?
- Das Projekt hatte seinen Ausgangspunkt in einem Yard Sale in Los Angeles. Das ist eine für Los Angeles sehr typische Struktur einer Parallelökonomie. Die Bevölkerung nutzt die indifferente Zone von Vorgärten, die nicht durch einen Zaun abgegrenzt sind – von denen man also nie genau weiß, ob sie nun öffentlich oder privat sind – um Gartenflohmärkte zu veranstalten. Da der öffentliche Raum in Los Angeles aber kein Aufenthaltsraum in europäischem Sinne ist, haben diese Yard Sales auch die Komponente einer informellen Möglichkeit der Kommunikation. Das Florieren der Yard Sales ist also nicht nur in einer ökonomischen Notwendigkeit begründet, sondern auch im Bedürfnis nach ungeplanter Gesellschaft.
Die nächste Stufe im Zyklus zwischen Abfall und Wiederverwertung* ist dann das Recycling, wobei die Grenze zwischen „Second Hand“ und Recycling eine kleine ist.
- Ökonomie, Charity, Unternehmensführung in einem globalen Kontext bilden sich bei Humana ab – gleichzeitig wird auch Geschäft mit der Second Hand-Kleidung in urbanen Gesellschaften gemacht, da sie eine Individualisierung der Kleidung ermöglicht. Welche Rolle hat Mode in diesem Zusammenhang?
- Mit der zunehmenden Globalisierung der Modeketten, die zur Folge hat, dass man in allen Städten die gleichen Bekleidungsmarken und deren Modelle antrifft, steigt das Interesse an dem anderen, individuellen Kleidungsstück. Und so bietet Second Hand-Kleidung eine Alternative zu teuren Designer-Einzelstücken, vor allem in der westlichen Welt, beziehungsweise für die kreativer orientierten Bevölkerungsschichten. Humana nimmt eine sehr genaue Analyse der jeweiligen Modetrends vor, um die vorhandene Kleidung optimal sortieren und auf die jeweiligen Zielgruppen verteilen zu können. So sind im Retroshop jene aktuellen, „modischen“ Stücke vertreten, die Designer mit einem leichten „Twist“ nachbauen. Humana wirbt dann mit dem „Original“. Auf der anderen Seite wird zum Beispiel bei Kleidung, die nach Afrika exportiert wird, darauf geachtet, dass Röcke ungeachtet europäischer Modetrends mindestens Knielänge haben müssen und dass T-Shirts mit Aufdrucken hoch begehrt sind – als Identitätsträger unserer Kultur vermitteln sie das Gefühl, „dazuzugehören“. Die Frage ist also: Woran orientiert man sich? Welche Kultur ist die derzeit erstrebenswerte, die dann die Codes vorgibt?

Der Anlass, dass Humana seine Sortierarbeit in die Slowakei, Bulgarien und Türkei verlegt hat, spiegelt einen gewissen Zustand von Europas Wirtschaftslage wider.
Unabhängig davon, ob dies konkret für Humana zutrifft oder nicht, scheint es heute notwendig zu sein, dass auch Unternehmen, die humanitär orientiert sind, sich neoliberalen Produktionsbedingungen unterwerfen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Daraus resultiert die Absurdität, dass auch der soziale Aspekt delegiert beziehungsweise teilweise wieder „ausgelagert“ werden muss.

- Das Projekt soll in weiterer Folge „der Kleidung nachreisen“. In Afrika etwa ist geplant, mit einem Designer vor Ort die europäische Kleidung zu „afrikanisieren“. Welche Rolle spielen „Mode“ und Kleidung in der regionalen Identität und welche Unterschiede gibt es in Osteuropa, Westeuropa und Afrika?
- „Afrikanisieren“ entspräche wieder jenem Modell, dass eine Kultur vorgibt, was gerade „angesagt“ ist. Ich möchte aber gar nicht in diesen Kategorien der Eroberung denken, sondern eher das Selbstbewusstsein in den Vordergrund stellen. Ich bin einfach neugierig, wie Kleidungsstücke aussehen könnten, die unsere europäisch aussortierten Stücke als Rohmaterial nehmen, um die aktuelle Kultur und Ästhetik bestimmter afrikanischer Kulturen zu transportieren – unabhängig davon, was von der dominanten westlichen Welt gerade als „afrikanisches Design“ gefragt wird.
Es ist prinzipiell ein Drang nach dem modischen Mainstream-Kleidungsstück von kurzer modischer Lebensdauer zu beobachten, das als gebrauchtes Stück einfach billiger zu erstehen ist, und andererseits der Wunsch nach Distinktion von bestimmten Bevölkerungsgruppen. Die verschiedenen parallel existierenden Modewelten spiegeln sich also auch im Second Hand-Bereich wider. Als nächsten Schritt meines Projektes möchte ich die von Humana neu gegründeten Sortieranlagen und Geschäfte in der Slowakei und in Bulgarien besuchen – unter anderem um zu untersuchen, ob es in Bezug auf Mode und Identität wirklich noch regionale Unterschiede in Europa gibt.
- Als Künstlerin arbeitest du mit Installationen, Aktionen et cetera. Was bedeutet für dich im konservativ verstandenen Sinn „Material“? Ist bei Humana „Mode“ das Material?
- Bei meinem Projekt „The System: pret-à-porter“ ist das Material – wie in all meinen Projekten – die Kommunikation. Die Frage nach der Mode, also nach dem Mehrwert, der ein Kleidungsstück über den Gebrauchsgegenstand hinaushebt, ist für mich also nur der Kommunikator, um von einer konkreten Seite in das System einzusteigen oder dieses zu hinterfragen. Dieser „Veredelungsprozess“ – und dadurch das Schaffen eines Mehrwerts – ist natürlich ein Aspekt, der sich auch bei allen künstlerischen Arbeiten stellt.
- In Verbindung mit deiner Gruppe „transparadiso“ arbeitest du viel mit „urbanen Interventionen“, direktem Urbanismus. Ihr wollt die Zugangsweise der distanzierten Stadtplanung verändern. Welche Rolle spielen dabei nun Ästhetik, Design oder auch Mode?
- Auch bei den Projekten von transparadiso ist Design das Transportmedium für Inhalte. Die Objekte, die wir entwickeln, sollen verschiedene Handlungsfelder eröffnen, die eine soziale Interaktion – Kommunikation – jenseits gewohnter Muster ermöglichen, um so zu neuen Programmen im Sinne eines erweiterten Urbanismusbegriffes zu kommen. Dieser basiert letztlich auf einer Kombination von programmatischem Städtebau. Die Ästhetik zielt dabei immer auf eine Verknüpfung von Alltag und Diskurs ab und ist deshalb wesentlich für die Ausformulierung unserer Projekte.
- Ihr sucht euch meist verschiedene Einsatzgebiete für künstlerische Interventionen aus. Nun hast du mit der Secession einen fixen Standort zu bespielen. Ein Widerspruch?
- Meine derzeitige Aufgabe in der Secession betrachte ich wie ein großes Projekt, bei dem der Vorstand und ich die Möglichkeit haben, einen Wirkungsgrad zu erzielen, der natürlich viel weiter reicht als jener eines individuellen Kunstprojekts. Die Secession als Institution ist dabei nur der Ausgangspunkt oder die Kulmination von Positionen, die im besten Fall nicht nur im Kunstkontext, sondern gesellschaftlich wirksam werden sollen. Als Künstler- und-Künstlerinnen-Organisation möchten wir die Secession wieder als Produktionsort in das Zentrum der Öffentlichkeit stellen.
* siehe auch: Michael Thompson, „Mülltheorie. Über die Schaffung und Vernichtung von Werten“, neu hrsg. v. Michael Fehr, Klartext-Verlag, Essen 2003: Thompson behandelt ausführlich die Frage, wie ein Second Hand-Objekt sowohl die Möglichkeit in sich birgt, einen dauerhaften Wert zu erlangen (zum Beispiel zur Antiquität zu werden), beziehungsweise wenn der Wert vergänglich ist, eben zu Abfall zu werden.


Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von „transparadiso“, einer Plattform für Projekte zwischen Kunst, Architektur und Urbanismus. Seit 2006 ist sie Präsidentin der Secession, Wien.

Interview erschienen in REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa, Juni 2006
Link: Report online - Link: transparadiso -